Warum Retro-Look keine Stilrichtung ist [Designfibel]

Retro ist die Erscheinung der Vergangenheit in der Gegenwart. Doch weder gibt es einen festgelegten Retro-Zeitraum, noch sprechen alle Retro-Stücke die gleiche Formensprache. Was also steckt wirklich hinter dem Prinzip Retro, was bedeutet Retro Style und wie grenzt es sich von Vintage ab?

Retro-Style ist keine Stilrichtung

Denkt man beim Retro Look nur an Möbel und Einrichtungsstil entsteht leicht der Eindruck, dass sich dabei alles um die Farben und Formen der 60er Jahre dreht. Retro wären dann organische Formen wie der berühmte Nierentisch, eine Kombination aus dunklen Pastelltönen und knalligen Farben sowie grafische Textil- und Tapetenmuster mit geometrischen Aufdrucken. Ein Beispiel aus der aktuellen Kollektion von Smoothy ist das Sitzsack Retro Sofa.

Ein anderes Bild ergibt sich für den, der den Retro Style im Bereich Mode betrachtet. Kleidung mit dem Attribut Retro-Chic ist keineswegs auf die Periode zwischen 1950 und 1970 beschränkt. Als aktuelles Beispiel können Pump- und Beduinenhosen dienen, die etwa das 80er Phänomen David Bowie zitieren: Der Schnitt ist neu, der Stil ist 80er, das Attribut ist Retro.

Bei genauerem Hinsehen lässt sich Retro daher nicht auf einen bestimmten Zeitraum reduzieren, aus dem alle vermeintlichen Retro-Elemente entliehen werden. So bezeichnet Retro keine wirklich festgelegte Zeitperiode, die sich in Jahreszahlen definieren ließe. Das Wesen von Retro scheint eher darin zu liegen, dass abgeleitet vom lateinischen Wort retro (dt.: rückwärts), ein Blick auf die jüngere Vergangenheit geworfen wird.

Retro Design verändert sich: Übermorgen wird gestern Retro sein

Eine zeitliche Begrenzung scheint es dennoch zu geben. Wenn bei Retro von „kulturellen Erinnerungsstücken“ oder einem „Zeitkulturzitat“ die Rede ist, scheint es Bedingung zu sein, dass diese Erinnerungen auch noch in den Köpfen und nicht nur in Geschichtsbüchern vorhanden sind. Retro geht dann maximal soweit zurück, wie Menschen sich innerhalb einer Generationsstufe erinnern können. Dabei meint erinnern, dass sie mit den Designs tatsächlich in Berührung gekommen sind und daher zu Mustern, Farben, Formen und Funktionen auch bestimmte Gefühle und Handlungsweisen, also eine Lebensart, assoziieren können.

Daniela Kühne, Autorin vom de:bug Magazin, stellte 2001 fest, dass Retro-Style letztlich eine Frage des eigenen Standpunktes in der Zeitgeschichte sei:

„Das 80er Revival ist die erste Retrobewegung, bei der ich die Originalklamotten noch im Schrank haben könnte. Klar hat meine Mutter mich als Kind mit gehäkelten Topfmützchen und blumenbestickten Jeans gequält, aber trotzdem empfinde ich die 60er nicht als bewussten Bestandteil meiner Sozialisation. Bei den 80ern ist das anders.“

Das Prinzip Retro-Stil und der Panton Chair

Retro ist kein Stil, Retro sind tausend Stile. Wenn sich Retro-Design nicht auf eine zeitliche Epoche beschränken lässt, kann es auch keinen Retrostil im engeren Wortsinn geben. Vielmehr verändert sich der Zeitraum, an dem sich Retro-Fans orientieren, mit jedem weiteren Jahrzehnt, womit sich auch die Designelemente verändern, auf die sich das Retro bezieht. Treffender erscheint es daher, Retro nicht als einen Stil, sondern als ein Prinzip zu verstehen, mit der Vergangenheit umzugehen.

Retro Stil Panton Chair

„Nur“ Retro-Look oder echt Vintage?

Retro ist etwas, das sich am Stil einer bestimmten Zeit orientiert, aber außerhalb dieser Zeit entworfen und/oder produziert wurde. Entwickelt ein Designer einen Stuhl, der aus einem Stück geformt ist und ohne hintere Stützen auskommt, wäre dies Retro. Er zitiert bei seinem Entwurf eine bekannte Formensprache der 60er Jahre, den Panton Chair der Designikone Verner Panton. Würde es sich bei dem Stuhl um ein Original aus der ersten Serienproduktion 1967-1968 handeln, würde man demzufolge nicht von Retro-Stil oder Retro-Look, sondern konkreter vom Panton Stil oder vom Design der Panton Ära sprechen. Da diese Möbel dann tatsächlich aus einer bestimmten Zeit stammen und nicht einfach nur so aussehen, wären sie Vintage.

Dass ein Möbel lediglich ein nachgebautes Retro-Stück und kein Original ist, lässt sich in guten Online Shops an der Artikelbeschreibung erkennen. Wird dort von Replik oder Inspiration gesprochen, ist es ein Retro-Stück, das sich an einem Design vergangener Zeit orientiert.

(Bildmaterial v.o.n.u.: © Verner Panton chairs (Paris on Ponce & Le Maison Rouge/Flickr, CC BY 2.0))